Ein Jahr #liebegewinnt

Was hat ein Jahr #liebegewinnt bewirkt? Pfarrer Bernd Mönkebüscher war ganz vom Anfang mit dabei und blickt hier persönlich zurück:

„Ein Jahr ist es her, dass an vielen Orten Segensgottesdienste gefeiert wurden mit Menschen, die aus kirchenlehramtlicher Sicht nicht heiraten dürfen.

Im Kreis der Initiator*innen haben wir vor den Segensgottesdiensten am und um den 10. Mai 2021 lange diskutiert, ob mit diesen Gottesdiensten Menschen nicht für kirchenpolitische Zwecke instrumentalisiert würden. Das verbietet sich.

Die vielen gefeierten Gottesdienste, die Erfahrungen der Mitfeiernden erzählen, was tragender Gedanke von #liebegewinnt war und bleibt: Viele fühlten sich endlich wahrgenommen, gesehen, in ihrer Liebe ernst genommen und geschätzt.

Wir hatten in Hamm die Chance, zusammen mit Brings, deren Lied „Liebe gewinnt“ der Initiative ihren Namen gegeben hat, den Gottesdienst zu feiern. Er wirkte und wirkt: Bei den in der Kirche Feiernden, bei denen, die ihn online mitgefeiert haben, zeitgleich oder später. Menschen haben sich ansprechen und bewegen lassen.

Wir in Hamm haben uns danach in einer kleinen Gruppe gefragt, ob es auch darüber hinaus einen Gottesdienst mit queeren Menschen geben kann. Seit September 2021 feiern wir an jedem letzten Sonntag im Monat um 18 Uhr einen „Gottesdienst im Zeichen des Regenbogens“. Wir haben bewusst diese weite Formulierung gewählt, weil diese Gottesdienste zwar eine besondere Richtung haben, aber nie ausschließen dürfen. So war und ist es auch bei #liebegewinnt: Menschen feiern unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung ihre Liebe und stellen sie unter den Segen Gottes. Die Liebe der Menschen zählt, nicht ihre sexuelle Orientierung.

Dennoch geben Gottesdienste, die mehr als andere Gottesdienste queere Menschen im Blick haben, Möglichkeiten, an ihren Erfahrungen anzuknüpfen. Etwa am 2. Ostersonntag, dem gerade vergangenen letzten Sonntag im April, an dem das Evangelium von den Jüngern hinter den verschlossenen Türen erzählt, die sich zurück ziehen, weil sie Angst haben, weil sie nicht auch verletzt und noch mehr verwundet werden möchten, als sie schon der Tod Jesu, seine Misshandlung, verletzt hat. Sie lassen niemanden an sich heran. Wir lesen im Grunde das Gegenteil einer coming out Geschichte. Menschen, die ein coming out hinter sich haben (bleibt es bei einem? Nein!!), kennen das: Ja nicht entdeckt, ja nicht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, ja nicht nach draußen gehen. Sich selbst verbergen. Sie verstehen diese Ostererzählung aufgrund eigener Erfahrungen anders, wenn sie davon erzählt, dass Jesus sich hineintraut in die Angst der Jünger, weil er weiß, was Verletzungen und Missachtung sind, weil er weiß, was es bedeutet, der Würde beraubt zu werden. Als Betroffener begegnet Jesus den Menschen, als Gezeichneter.

Ähnliche Ostererfahrungen, wie sie die Jünger gemacht haben, finden wir queere Menschen auch in unserem Alltag. Jemand erzählt von eigenen Verwundungen und gibt den noch Sprachlosen, den noch in sich Verschlossenen zu verstehen: Du bist nicht allein. Jemand hat den Mut, andere an die eigene verletzliche und verletzte Seite heranzulassen, und erschließt ihnen so eine Quelle von Kraft.

#liebegewinnt ist so eine einzige coming out Geschichte. Menschen trauen sich heraus, finden Mut, werden auch in der Kirche in ihrer Liebe sichtbar.

Ich glaube zu verstehen, was Chefredakteur Markus Nolte von Kirche und Leben dieser Tage kommentierte: „Die Aktion „Liebe gewinnt“ vom vergangenen Jahr ist auf dem bes­ten Weg dahin, sich von dieser traditionsanfälligen Dynamik kirchlicher Riten einspinnen zu lassen: Eh man sich‘s versieht, wird aus der Protest­aktion ein Ritualchen, das das Rom trotzende Einfordern des Segens auch für homosexuelle Paare von 2021 ab 2022 mit einer Art queerem Valentinstag im Wonnemonat Mai abspeist.“

Abgesehen davon, dass #liebegewinnt nie als Protestaktion gedacht war (als Protestaktion gedacht war #mehrSegen mit mehr als 2600 Unterschriften von in der Seelsorge tätigen Menschen, die mit ihrer Unterschrift im Frühjahr 2021 bekundeten, auch weiterhin queeren Menschen den Segen Gottes zuzusprechen) sehe ich die Aktion allerdings nicht auf dem Weg zum Ritualchen, weil sie begleitet ist von vielen Diskussionen auf dem Synodalen Weg und einer großen Mehrheit, die eine Änderung der Sexualmoral fordert und mindestens öffentliche und würdige Segensfeiern für Menschen, die aus kirchlicher Sicht nicht heiraten dürfen. Darüber hinaus sehe ich den Weg zum Ritualchen nicht, weil #liebegewinnt tatsächlich die Nachfrage nach persönlichen Segensfeiern unterstützt und bestärkt.

Ich weiß, dass auch in bischöflichen Kreisen Segensfeiern als „Symbolhandlungen“ gesehen und gefordert werden. Und das in der Tat ist zu wenig. Ein Ende von Diskriminierung bedeutet auch die Möglichkeit einer kirchlichen Ehe für queere Menschen.

Dennoch: Einige Tage vor unserem letzten „Gottesdienst im Zeichen des Regenbogens“ bekomme ich die Anfrage eines schwulen Paares, ob es im nächsten Gottesdienst gesegnet werden kann. Es ist der Jahrestag ihrer Verpartnerung und ihrer Eheschließung. „Intim“, „berührend“, „persönlich“ waren die Rückmeldungen queerer wie nicht queerer Mitfeiernden des Gottesdienstes. Alle waren eingeladen, ihre Hände segnend über dieses Paar zu halten. Alltagsliebe vor Gott gebracht. Ehrlich und ausdrucksstark für alle, die dabei waren, die sich beschenkt fühlten, mitgenommen, sich mitfreuend.

Ich möchte Segen und Sakrament nicht gegeneinander ausspielen. Aber wie reich wären wir in unseren Gottesdienstfeiern, könnten Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität schauen, was ihrem Glauben und ihrem Leben entspricht, um ihre Liebe zu feiern. Muss eine Segensfeier schwächer sein als ein Sakrament? Nein. Kann eine Segensfeier am Ende mehr Sakrament sein? Ja.

#liebegewinnt wirkt. Auf vielerlei Weise. Denn Liebe gewinnt. An Ostern. Und überall, wenn Menschen die Liebe die höchste Macht in ihrem Leben sein lassen.“